Mittwoch, 8. Juni 2011

Vollgas

Wenn du etwas haben willst, gib es weg!

"Die Moral eines Menschen ist zu beurteilen nach der Fähigkeit, welch großes Opfer er zu bringen bereit ist, ohne dabei an eine Gegenleistung zu denken." - Konrad Lorenz


Georg Müller

Georg Müller ist am 10. März 1898 in Bristol gestorben. Wer ein Foto von dem gebürtigen Deutschen sieht, wird einen auffallend breit grinsenden Mann sehen. Das ist sehr unüblich für die damalige Zeit. Fotoaufnahmen dauerten in der damaligen Zeit recht lange. Man durfte nicht wackeln. Deshalb war es für die meisten zur Gewohnheit geworden einfach grimmig in die Kamera zu sehen, auch wenn die Technik gegen Ende des 19. Jh. so weit fortgeschritten war, dass man sich auch Lächeln erlauben konnte.

Georg Müllers Lächeln in einer Zeit, in der niemand sonst lächelte, spiegelt seine Grundhaltung wieder. Als Pastor in England war er davon überzeugt, etwas für die vielen Waisenkinder tun zu müssen. Gleichzeitig hatte er sich aber an den christlichen Grundsatz gehalten „Verkaufe alles was du hast und gib es den Armen.“ Infolge dessen hatte er keinen Besitz mehr. Aber betteln wollte er auch nicht.

Dennoch schaffte er es mit Vertrauen und jeder Menge Gebet bis zum Jahr 1870 Waisenhäuser für 2000 Kinder zu bauen. Die Ausbildung, die er ihnen geben konnte, war so gut, dass er gebeten wurde, seine Ausbildung zurück zu schrauben, weil sich so viel Bildung für Waisenkinder nicht gehöre.

Georg Müller hat in seinem Leben alles gegeben, was er hatte. Für einen Traum, den er von einer Welt mit Gott hatte. Er hat Zeit seines Lebens keinen eigenen Besitz gehabt und niemals um Spenden gebeten. Dennoch waren immer wieder Menschen von seiner Idee und seinem Engagement begeistert, sodass sie ihm von ihrem Besitz abgaben, damit seine Arbeit weiter gehen konnte. Georg Müller ist damit zu einem leuchtenden Beispiel von Aufopferung im christlichen Abendland geworden.

Menschen mit Biss

Wenn wir Menschen eine Sachen haben wollen oder uns ein Ziel gesteckt haben, dann kommt es vor, dass wir uns daran festbeißen und nicht wieder davon loskommen. Mit dem Körper wird Raubbau betrieben und andere Bereiche des Lebens werden vernachlässigt.

Es fängt damit an, dass wir Kredite aufnehmen, weil uns Dinge zu leisten, die wir uns eigentlich nicht leisten können. Manche von uns arbeiten bis tief in die Nacht, weil sie dieses eine Projekt noch abschließen wollen. Wieder andere spielen stundenlang am Computer, um das nächste Level zu erreichen.

Es steckt in unseren Köpfen, dass wir für unsere Ziele etwas opfern müssen. Obwohl ich diesen Gedanken nicht von vorn herein ablehne, bin ich mir nicht sicher, ob wir „Opfer“ immer richtig verstehen.

Nur zu oft höre ich die Frage: "Wie schaffe ich es, dass ich mehr leisten kann? Ich brauche mehr Energie, mehr Kraft, mehr Ausdauer!" Der Kapitalismus hat uns eingebrannt, dass wir etwas weggeben müssen, um etwas anderes zu bekommen. Wir geben Arbeitskraft weg, um Geld zu bekommen. Wir geben Geld weg, um Ware zu bekommen usw.

Geben und bekommen

Was passiert mit uns, wenn wir diese Gedanken umdrehen? Was passiert wenn, wir etwas weggeben, das wir doch eigentlich haben wollen?

Vorrangig haben wir den Eindruck etwas zu verlieren. Aber dieser Verlust kann zur Freiheit werden. Freiheit, die uns Horizonte eröffnet, die wir vorher gar nicht gesehen haben.

Die Frage war vorher: Was muss ich haben oder tun, um mein Ziel zu erreichen? Nun ist die Frage: Was kann ich weggeben oder nicht tun, um mein Ziel zu erreichen?

Mir geht es nicht darum ein Asket zu werden, sondern darum, sich der Bindungen bewusst zu werden, die man eingegangen ist. Wovon habe ich mich abhängig gemacht? Muss das wirklich sein? Was würde passieren, wenn ich diese Abhängigkeiten los wäre? Wofür würde ich die neue Freiheit einsetzen? Welche Bindungen in meinem Leben wären wirklich sinnvoll?

Wie Georg Müller seinen ganzen Besitz wegzugeben, ist ein großer Schritt, den man vielleicht gar nicht tun muss. Aber die Frage allein „Was wäre wenn...?“ kann schon helfen sich von Dingen zu verabschieden, sie nicht mehr so ernst zu nehmen.

Man wird eine entspanntere Haltung zu den Dingen einnehmen. Sind Autos, Häuser, Computer, Geld oder Events so viel wert, dass man sein Leben für sie verbringt? Oder ist es etwas anderes mehr wert?

mein Computer

Als ich von Georg Müller erfahren habe, stellte auch ich mir die Frage, ob ich meinen gesamten Besitz weggeben könnte. Bei den meisten Dingen in meinem Besitz war das kein schwerer Gedanke(ich bin Student, da besitzt man ja auch nicht so viel). Bei meinem Computer war das anders. Er ist mein Arbeitsgerät und mein Kommunikationsmittel. Würde ich ihn weggeben, wäre ich gleich auf mehreren Ebenen eingeschränkt.

Ich kämpfte sehr lange mit diesem Gedanken. Zwar befindet sich der Rechner immer noch in meinem Besitz, aber ich habe mich doch innerlich von ihm getrennt. Ich habe zu den Daten darauf, den Dingen, die ich damit mache ein anderes Verhältnis. Ich arbeite immer noch sehr viel damit. Aber Internet, Daten usw. sind relativ geworden. Der Computer ist nun nicht mehr untrennbarer Teil meines Lebens.

Diese Entspannung hat mein Leben sehr bereichert und für andere Gedanken frei gemacht. Ich habe meine Prioritäten von Besitz und Status loslösen können. Nun bin ich in der Lage meine Prioritäten neu zu ordnen und mir über das wirklich wichtige im Leben Gedanken machen zu können: ...

4 Kommentare:

  1. Hallo,

    kann es sein, dass die Geschcihte von George Müller verfilmt/als Doku gezeigt worden ist? Irgendwie kommt mir die Geschichte bekannt vor, aber ich kann es einfach nicht mehr einordnen. Vllt. in "Erben der Reformation"?

    Ansonsten finde ich das sehr interessante Gedanken.
    Ich finde es allerdings nicht schlimm, dass es "Menschen mit Biss" gibt. Vielmehr würde ich gerade Dein Beispiel, Georg Müller, als solchen sehen wollen. Er hatte ein Ziel - den Weisen zu helfen. Und für dieses tat er alles. Ja, es ist genau das, was Du ja eigentlich kritisierst. Er biss sich fest, tat alles - und dieses alles tun für ein Ziel zeigte sich darin, dass er den Besitz weggab.

    Du schreibst:
    "Der Kapitalismus hat uns eingebrannt, dass wir etwas weggeben müssen, um etwas anderes zu bekommen. Wir geben Arbeitskraft weg, um Geld zu bekommen. Wir geben Geld weg, um Ware zu bekommen usw."
    Aber genau das tat Müller in Deinem Beispiel. Er gab alles, um etwas zu bekommen, nämlich das Gefühl, etwas Gutes getan zu haben. Der Mensch tut ALLES aus egoistischen Motiven. Wenn wir spenden, beruhigen wir unser gewissen, wenn wir mit Adra in Katastrophengebiete gehen, haben wir das gute Gefühl, geholfen zu haben, wenn wir Weisenhäuser bauen, freuen wir uns an den glücklichen Kindergesichtern, und wenn wir Nottiere aufnehmen, jubeln wir über das erste Schwanzwedeln des misshanelten Hundes, oder über den ersten Mehlwurm, den der Hamster aus der Hand nahm. Wir geben IMMER um zu bekommen. Ja, ich gehe soweit auch die Mutterliebe dahingehend zu betrachten. Man sagt, die Mutterliebe sei uneigennützig, denn zumindest in edm Moment könne dieses hilflose, kleine Wesen einem nichts geben. Und doch, gibt es uns so viel. Den Stolz, die Herausforderung über uns selbst herauszuwachsen, die Freude über das Gedeihen des Sprösslings, das erste Lächeln, etc.
    Nein Samuel, ich denke, dass Du, trotz Deiner wirklich interessanten Gedanken hier einen falschen Ansatz vertrittst. Wir geben, um zu bekommen. Und wenn wir weggeben was uns lieb ist, erhoffen wir damit, etwas viel größeres zu bekommen. Du gabst innerlich Deinen PC weg, und erhofftest, dadurch viel mehr zu bekommen. Und genau das ist eingetreten, wie Du hier beschriebst.

    Ich denke nicht, dass Du mit diesen Gedanken den Kern triffst, obwohl Du ihn hier schon ansprichst:


    "Die Frage war vorher: Was muss ich haben oder tun, um mein Ziel zu erreichen? Nun ist die Frage: Was kann ich weggeben oder nicht tun, um mein Ziel zu erreichen?"

    Denn trotz allem geht es ja immernoch darum, das Ziel zu erreichen. Du hast in Diener Beschreibung das Ziel nicht variiert, wie man erwarten würde, sondern den Weg dahin. Das mag sicher auch nicht verkehrt sein, trifft aber mMn nicht das Problem. Dieses gehen wir erst an, wenn wir unsere Ziele überdenken!

    Liebe Grüße

    Kathrin

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  2. Wenn ich sage, dass wir etwas weggeben, um etwas zu bekommen, rede ich von materiellen Dingen. Mir ging es nicht darum eine Grundsatzfrage über Geben und Nehmen aufzureißen.
    Natürlich könnte man sagen, ich "bekomme" ein Gefühl. Aber vielleicht ist das ja auch eher eine Sache, die man macht...!?
    Doch das ist nicht der Punkt!

    Hier geht es nicht darum zu fragen, was man bekommt und wir. Denn diese Frage stellen wir uns dauernd. Die Frage ist auch nicht, was unser Ziel ist. Denn diese Frage kommt an einer anderen Stelle.

    Ich wollte fragen, was wohl passieren würde, wenn ich Abhängigkeiten, die ich mir selbst geschaffen habe oder vorhabe zu schaffen, aufgäbe?

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  3. Wir sind immer von irgendetwas abhängig, ob gewollt oder ungewollt. Vom Atmen, von Nahrung. Aber ich weiß, das meinst Du nicht.
    Wenn wir eine Selbstgeschaffene Abhängigkeit aufgeben, schaffen wir uns eine Neue. Wenn ich meine Abhängigkeit von Mentos aufgebe, komme ich zum Gemüse (lecker), weil der Körper einen Ersatzt sucht.
    Und wenn er den nicht hat, gibt es eben psychische Abhängikeiten. Von Menschen, von Situationen, von "dem Abenteuer", vom "Kick im Leben", etc. Du schriebst, dass du z.B. dich von Deinem computer gelöst hast, um Deine Prioritäten neu zu ordnen. Eben das ist es. Du stellst andere Dinge an die Stelle des PCs, andere Dinge von denen Du abhängig bist. Das mag Deine Frau, Deine Freunde, die Bibel oder die Beziehung zu Gott sein, und doch ist es eine Abhängigkeit.

    Zumidest sehe ich das momentan so.

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  4. Zitat: Wofür würde ich die neue Freiheit einsetzen? Welche Bindungen in meinem Leben wären wirklich sinnvoll?

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